Mittwoch, 4. März 2015

Kathmandu - von Straßenhunden und Lärm und grundloser Liebe






Es gibt für alles einen Grund, so sagt der Volksmund. Aber für vieles auch einfach nicht, und das sag ich. 
Aus Backstein haben sie das Flughafengebäude gebaut, das eher einer Grundschule gleicht als einem Hauptstadtflughafen. Und wir schlendern hindurch. Direkt aus dem Flieger, dessen Luft noch nach indischem Curry und Minzjoghurt riecht, passieren Miss India, die hier Flugbegleiterin ist, an den Schildern mit Ebolameldepflicht vorbei, hin zu einem der beiden Schalter in der Ankunfthalle. Happy Diwali! Diwali-Sale. Scheinbar gutes Timing. 
Europäer mit Aplinen Wanderschuhen, Amerikaner mit violett gefärbten Haaren und Wursthaarträger mit Ohm-Aufnähern stehen Schlange. Zwei Herren mit Lederhaut und Jungenaugen hocken dort hinter bescheidenen Holzschaltern mit ihren buntbestickten Tupis und wollen, dass du dich entscheidest. Dich entscheidest, ob du einen Monat bleibst oder doch drei und wenn du sechs bleiben willst, lassen sie dich auch noch eine hübsche Geschichte stricken. Nepal lebt vom Tourismus. Und deshalb wollen sie natürlich auch noch Dollars. Nicht zu viele. Die gehen klar. Nepal ist arm, da ist wenig an der Tagesordnung. Wir tun, wie uns gesagt und verabschieden uns noch von Nickel. 
Der betreibt ein schniekes IT-Business in Indien und besucht in Kathmandu seine Familie. Wir besuchen niemanden, aber saugen jede Information begierig auf. Er raucht viel zu viel. Er findet, dass der Edding, mit dem ich das kleine Mädchen am Check-In bemalt habe, stinkt,er  liebt seine indische Frau, die er "sein Mädchen" nennt, ebenso die Berge und findet, dass dies das schönste Land der Welt ist. Nickel kommt und geht, beides nicht zu lang. Wir sind erst 2 min hier, schon zum Essen eingeladen und mit Telefonnummern versorgt. Nichts zu beanstanden!
Draußen wählen wir eins der zahlreichen Taxis, die eigentlich einfach nur PKW sind. Zustand unbekannt bzw. gerne auch wechselhaft. Sieben Personen fahren mit. Davon sind fünf Nepali, vier in verwandschaftlicher Beziehung zu einander, drei Raucher und zwei russischsprechend. Noch dämmert mir nicht, warum wir soviel Geleit brauchen. Taxi-Promotion ist hier die Werbestrategie Nummer eins. Aber es ist fünf Uhr nachmittags, stockdunkel und kümmert uns schlicht nicht. 
Der Jeep torkelt durch Asphaltlücken, über Schotter  und Kuhfladen entlang finsterer Straßen. Stromstop am Abend. Im letzten Jahrzehnt ist die Stadt unkontrolliert explotiert. Kathmandu bekommt daher nicht die Energiemenge, die es benötigt. Strom wird rationiert. Mal drei, mal vier Stunden am Tag. In jedem Haus hängen mehr oder weniger zuverlässige Listen, die informieren, wann es endlich wieder WiFi gibt. Straßenhunde laufen zickzack durch ein Meer unzähliger grauer Gestalten. Viele von ihren mit nackten, zähen Füßen. Menschen sitzen mit Stirnlampen auf den Holztürschwellen ihrer winzigen Geschäfte, während Staub und Schmutz im Lichtstrahl tanzen. Babas, in heiligem Orange, deren Gesichter von dicken Farbschichten geschützt werden, schlafen  im Dreck. Dicke Luft, ein bunter Strauß aus Müllgestank, Abgasen, Räucherstäbchenaroma und Leben. Endloses Hupen und aufmerksamer Lärm überall. Immer lauter, um die Wette und trotzdem bewegt sich nichts. In Kathmandu ist Hupen ein lokales Komunikationsmedium, das verbindet und warnt. Diese Stadt ist seltsam und verrückt. Und wir? Wir sind verliebt! Hin und weg. Grundlos und bedingungslos. Es fühlt sich an als könnten wir zum ersten mal nach Wochen wieder atmen. Keine Hitze, keine Luftfeuchtigkeit. Alles ist perfekt, einfach perfekt. Ein Zuhause, das wir nie gesucht haben. Kathmandu ist in diesem Moment die dunkelste Hauptstadt der Welt. Und unsere neue Freundin. Wir wünschen unser Hotel ans andere Ende der Welt, damit wir ewig fahren können. Fahren und staunen. Überall vertraute Gesichter, warme Blicke und feuerrote Tikas. Freunde, die wir noch nicht kennen. Kathmandu braucht keine Straßen, keine Beleuchtung und keinen Strom. Sein Motor ist aus Fleisch und Blut. 
Die Straßen sind überfüllt und die Bauweise unkontrolliert. Stockwerk auf Stockwerk, je nach Budget. Wir rollen im Schritttempo über Geröll und Kies. Straßen im herkömmlichen Sinne sind hier selten. Ein Himmel bunter Gebetsfahnen und unzähliger Werbeschilder prunkt über uns. Overload. Unser Jeep biegt in eine Seitengasse, nicht breiter als das Fahrzeug selbst. Wir sind am Ziel. Mitten im Thamel, in Kathmandus Touristenhölle. Ein traumhafter schwarzer Garten empfängt uns im Mondlicht. Flughunde stürzen sich auf den großen Papayabaum in seiner Mitte. Wie wertvoll ein Rasen in dieser Stadt ist, werden wir in den kommenden Wochen lernen. Aber zunächst genießen wir die Stille und Nepals schwarzes Haschisch, das so süß an unseren Lungen klebt und unsere Träume mit Wahnsinn färbt. Und mit Liebe. Denn wir sind verliebt. Heftig und grundlos und für immer.